G. Kreis: Kleine Neutralitätsgeschichte der Gegenwart

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Titel
Kleine Neutralitätsgeschichte der Gegenwart. Ein Inventar zum neutralitätspolitischen Diskurs seit 1943


Autor(en)
Kreis, Georg
Erschienen
Bern 2004: Haupt Verlag
Anzahl Seiten
455 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Walter Troxler

Der Autor Georg Kreis hat sich verschiedentlich zur Frage der Neutralität geäussert, er war Mitglied der Bergier-Kommission und war und ist Mitglied des Herausgebergremiums der «Diplomatischen Dokumente der Schweiz». Er hat somit beste Voraussetzungen darzustellen, wie sich die schweizerische Neutralität, ausgehend vom Zweiten Weltkrieg, in jüngster Zeit entwickelt hat. Daraus soll auch ableitbar sein, wie die Neutralität in Zukunft gehandhabt werden könnte. Es geht Kreis nicht um die Neutralität als solche, sondern darum, wer, aus welchem Anlass in welcher Art zur Neutralität Stellung genommen hat. Diese Anlässe werden in drei Bereiche gegliedert: 1. Das Verhältnis zur Vergangenheit, 2. Das Verhältnis zur UNO und schliesslich 3. Das Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft. In diesem ersten Teil werden die Neutralitätsdebatten in chronologischer Reihe dargestellt. Kristallisationspunkte sind dabei Ereignisse wie die Mitgliedschaft im Europarat oder die Blauhelmvorlage.

Im zweiten Teil wird das Neutralitätsverständnis zu verschiedenen Diskursen gruppiert. Ein erster Diskurs ist der politisch-staatsbürgerliche, gefolgt vom rechtswissenschaftlichen und schliesslich vom geisteswissenschaftlichen. Zu jeder Gruppe werden entsprechende Stellungnahmen von Personen aus verschiedenen Zeiten analysiert. Es werden da Namen zitiert wie NZZ-Redaktor und Nationalrat Willy Bretscher, Bundesrat Max Petitpierre, die Völkerrechtsprofessoren Max Huber und Daniel Thürer, die Historiker Edgar Bonjour und Jean Rodolphe von Salis.

Im abschliessenden dritten Teil wird der Neutralitätsdiskurs kritisch bewertet. Dabei wird festgehalten, dass die Neutralität grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird, es ist also nicht mit deren Abschaffung zu rechnen. Botschaften zur Neutralität wurden und werden ans Ausland gerichtet oder auch an die nächste Generation, die den Wert der Neutralität immer weniger kenne. Es liegt auf der Hand, dass junge Menschen die Neutralität anders erfahren und einschätzen, als dies ältere Leute tun, die den Weltkrieg oder Kalten Krieg und die Aufstände in Osteuropa miterlebt haben.

Es bestehen gewisse Differenzen zwischen dem Neutralitätsverständnis der Regierung und dem des Volkes, das tendenziell zur überhöhten Neutralitätsvorstellungen neigt, was durch gewisse Parteien und Organisationen gefördert wird. Die herrschende Neutralitätsvorstellung wird durch die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gestört, während umgekehrt durch das unkritische – teilweise schöngefärbte – Vergangenheitsbild die Sicht auf die heutige Realität erschwert oder gar verunmöglicht wird. Wegen des fehlenden Überblicks werden oft gleichartige oder widersprüchliche Aussagen nicht mehr als solche wahrgenommen.

Es bleibt die Frage, wie sich die Neutralität in Zukunft entwickeln wird. Entgegen der erwarteten oder vermuteten Erosion hat das Neutralitätsdogma an Verbindlichkeit gewonnen. Die traditionelle Neutralität wird immer noch hochgehalten.Aber im militärischen Bereich hat ein entscheidender Doktrinwechsel stattgefunden. Mit dem Sicherheitspolitischen Bericht 90 wurde vom bisherigen Alleingangskonzept Abschied genommen und man wandte sich hin zu «Sicherheit durch Kooperation». Durch das Mitwirken in den kollektiven Sicherheitsstrukturen (UNO/Blaumützen) und im Programm «Partnership for Peace» zeigt das VBS ein relativierteres Bild der Neutralität als andere Departemente. Für die Zukunft der Neutralität ergeben sich somit drei Varianten: Festhalten am bisherigen Verständnis, Abschaffen der Neutralität oder eine Neudefinition derselben.

Der Kerngehalt der Neutralität steht in Beziehung zu den aktuellen Bedrohungsformen und Konflikten und ist daher im Abnehmen begriffen. Zwischenstaatliche Konflikte, die in einen konventionellen Krieg münden, sind selten geworden. Vermehrt handelt es sich um innerstaatliche Auseinandersetzungen mit den entsprechenden Folgen für die Bevölkerung. Was den Kerngehalt der Neutralität im Falle des weltweiten Terrorismus oder in Sachen Umwelt bildet, müssten Vertreter des traditionellen Neutralitätsverständnisses sich ernsthaft überlegen.

Zitierweise:
Walter Troxler: Georg Kreis: Kleine Neutralitätsgeschichte der Gegenwart. Ein Inventar zum neutralitätspolitischen Diskurs seit 1943. Bern, Haupt, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 2, 2005, S. 241-242.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 2, 2005, S. 241-242.

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